Die "Class Action" in Italien
Seit dem 1. Januar 2010 haben die Verbraucher in Italien ein neues Werkzeug zur Verfügung, um ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen: die Sammelklage, in Italien besser unter der amerikanischen Bezeichnung Class Action bekannt, die durch den Artikel 140-bis des italienischen Verbraucherkodex geregelt ist.Oft versuchen Verbraucher gar nicht erst, ihre Rechte vor Gericht geltend machen, insbesondere wenn der erlittene Schaden gering ist. Abschreckend wirken nämlich besonders die anfallenden Gerichts- und Anwaltskosten, die überlange Verfahrensdauer usw...
Immer wenn die Rechte einer Vielzahl von Verbrauchern in gleicher Weise durch das Verhalten eines Unternehmens geschädigt worden sind, haben Verbraucher nun die Möglichkeit den Weg der Sammelklage zu beschreiten, eventuell indem sie einer Verbraucherschutzorganisation ein Mandat erteilen: ein einziges schlankes Verfahren vor einem einzigen Gericht, statt vieler einzelner gesonderter Klagen vor vielen verschiedenen Richtern.
Die Sammelklage kann seit dem 1. Januar 2010 eingereicht werden, aber nur gegen Rechtswidrigkeiten, die nach dem 15. August 2009 begangen wurden.
Die Sammelklage kann in folgenden Fällen zur Anwendung kommen:
a) bei Verletzung vertraglicher Rechte einer Vielzahl von Verbrauchern, die sich gegenüber desselben Unternehmens in einer identischen Situation befinden, einschließlich bei Verträgen die unter Verwendung von Vordrucken oder Formularen (Standartverträge) abgeschlossen wurden (z.B. wenn die Kunden einer Telefongesellschaft einen höheren Betrag in Rechnung gestellt bekommen, als der in den Vertragsbedingungen festgelegte Tarif);
b) bei Verletzung identischer Rechte der Endverbraucher eines Produkts gegenüber dem Hersteller, auch ohne ein direktes Vertragsverhältnis (z. B. wenn eine Vielzahl von Verbrauchern das gleiche Produkt, wie etwa ein Spielzeug, ein bestimmtes Elektrogerät usw. , verwendet hat, das sich dann als fehlerhaft erwiesen und einen Schaden verursacht hat);
c) bei Verletzung identischer Rechte auf Wiedergutmachung eines Nachteils, der den Verbrauchern auf Grund von unlauteren Geschäftspraktiken oder oder wettbewerbswidrigem Verhalten entstanden ist (wie etwa irreführende Werbung auf der Website des Unternehmens, die eine Vielzahl von Verbrauchern zu einem nachteiligen wirtschaftlichen Verhalten verleitet hat).
Der einzelne Verbraucher ist in diesem Zusammenhang ein Mitglied einer Gruppe einer Vielzahl von Verbrauchern, die sich gegenüber eines einzigen Unternehmens in der gleichen Position befindet, und ein identisches Recht geltend machen will.
In der Praxis wird es allerdings kaum möglich sein, dass eine Vielzahl von Personen sich tatsächlich in der gleichen Position - also im wahrsten Sinne des Wortes - befindet, dieses Prinzip könnte daher zu Schwierigkeiten in der Anwendung dieses Rechtsinstruments führen.
Das zuständige Gericht ist in der Regel das Landesgericht (Tribunale) der Hauptstadt der Region, wo das Unternehmen ansässig ist. Es gibt allerdings Ausnahmen: wenn das Unternehmen im Aostatal seinen Sitz hat, ist das Gericht in Turin zuständig, wenn das Unternehmen in Trentino-Südtirol oder Friaul-Julisch Venetien den Sitz hat, liegt die Zuständigkeit beim Gericht in Venedig. Für die Marken, Umbrien, die Abruzzen und Molise ist Rom zuständig, für die Basilicata und Kalabrien ist das zuständige Gericht jenes von Neapel.
Die Sammelklage wird von einem Gruppenmitglied (also einem einzelnen Verbraucher) eingereicht, der zu diesem Zweck einer Verbraucherschutzorganisation oder einem Komitee, welchem er angehört, eine Vollmacht erteilen kann.
Die Sammelklage muss dann eine erste Hürde überwinden, die Zulässigkeitsprüfung. Das Gericht erklärt die Klage dann für unzulässig, wenn sie offensichtlich unbegründet ist; wenn ein Interessenkonflikt besteht; wenn die Rechte der einzelnen nicht identisch sind; wenn der Antragsteller nicht in der Lage ist, die Interessen der Gruppe angemessen wahrzunehmen.
Erklärt das Gericht die Klage für unzulässig, entscheidet der Richter über die Verfahrenskosten und, wenn der Richter feststellt, dass der Kläger die Klage aus Schlechtgläubigkeit oder grober Fahrlässigkeit angestrengt hat, kann dieser dazu verurteilt werden, den Schaden des Unternehmens (wie Imageschaden oder sonstiges) zu ersetzen. Außerdem trägt der Antragsteller die Kosten für eine angemessene Bekanntmachung der Entscheidung des Gerichts.
Erklärt das Gericht die Klage für zulässig, setzt es die Fristen und die Art der Bekanntmachung der Sammelklage auf Kosten des Antragsstellers fest, sodass die anderen Gruppenmitglieder von der Klage erfahren und sich der Klage anschließen können.
Darüber hinaus definiert das Gericht die Eigenschaften, welche die Rechte der Einzelnen haben müssen und bestimmt die Kriterien, welche diejenigen, die der Klage beitreten möchten, aufweisen müssen, um als Gruppenmitglieder gelten zu können.
Das Gericht setzt eine Frist (höchstens 120 Tage nach Ablauf der Frist für die Durchführung der Bekanntmachung), innerhalb welcher alle Verbraucher, die der Klage beitreten möchten, ihre Beitrittserklärung bei der Gerichtskanzlei, auch mittels der Person des Antragsstellers, einreichen müssen. Für den Beitritt ist kein Anwalt erforderlich.
Die Beitrittserklärung enthält neben der Wahl des Domizils, die Angabe des geltend gemachten Rechts und die Beweisunterlagen. Diejenigen, die der Sammelklage beitreten, verzichten automatisch auf individuelle Klagen auf Schadenersatz oder Wiedergutmachung. Wer hingegen der Sammelklage nicht beitritt, obwohl er alle Anforderungen erfüllt, kann individuell gegen das Unternehmen klagen.
Sollten während der Frist weitere Sammelklagen gegen dasselbe Unternehmen auf Grund des gleichen Verhaltens eingereicht werden, werden die Verfahren in einem einzigen Prozess zusammengefasst.
ACHTUNG: Wenn die Frist für den Beitritt abgelaufen ist, gibt es keine Möglichkeit mehr, dem Verfahren beizutreten. Auch kann - auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt - keine weitere Sammelklage mit dem gleichen Inhalt und gegen dieselben Unternehmen eingereicht werden.
Wird der Antrag angenommen, verurteilt das Gericht das Unternehmen und berechnet die Beträge, welche denjenigen, die der Klage beigetreten sind, auszuzahlen sind, oder legt einheitliche Kriterien für die Berechnung dieser Beträge fest.
Das Urteil entwickelt seine Rechtskraft nicht nur gegenüber den Parteien im engeren Sinne - also dem Antragssteller und dem Unternehmen - sondern auch gegenüber den Gruppenmitgliedern, die der Klage beigetreten sind.
Verzichtserklärungen und Vergleiche zwischen dem Antragssteller und dem Unternehmen berühren nicht die Rechte jener Gruppenmitglieder, die nicht ausdrücklich dem Verzicht oder dem Vergleich zugestimmt haben.
Die Sammelklage in Italien kann kostspielig sein. Wer den Antrag stellt, muss die potentiell sehr hohen Kosten für die Bekanntmachung tragen. Sollte die Klage für unzulässig erklärt werden, muss der unterlegene Antragssteller zudem nicht nur die Kosten für die Bekanntmachung der Entscheidung tragen, sondern riskiert auch noch unkalkulierbare Kosten für den Schaden, der dem Unternehmen aus der Klage entstandenen ist, tragen zu müssen.
Ob die Sammelklage in Italien tatsächlich erfolgreich und sich als ein nützliches Instrument für den Verbraucherschutz erweisen wird, wird erst in der Zukunft deutlich werden, wenn die ersten Urteile gesprochen sein werden.